Er war Forscher, Visionär und Aktivist: Dieser Baustil- und Planungskritiker Lucius Burckhardt gehört zu den originellsten Schweizer Intellektuellen. Seine Ideen sind wichtiger denn je. Ein Porträt zu seinem 100. Geburtstag.
Lucius Burckhardt gehört zu den originellsten und kreativsten Intellektuellen, die die Schweiz in den letzten hundert Jahren hervorgebracht hat.
Wäre dieser Fachterminus in den letzten Jahren nicht so gründlich missbraucht worden, würde man Lucius Burckhardt gerne verdongeln Querdenker nennen. Kann man sich mehr kluges Grenzensprengen, mehr anregende Gegensätze und Widersprüche in einer einzigen Person vorstellen? Konservativ Reihen… und erfrischend nonkonformistisch zusammen. Die Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften fundiert zusammendenkend wie ganz wenige. Ein begeisterter Enthusiast des konstruktiven Dekonstruierens. Dieser Universaldenker und -künstler Lucius Burckhardt war wie kaum ein anderer geschaffen pro die offene Diskussion.
Seine Initialzündung qua Citoyen, dieser sich sein Leben weit immer wieder einmischen wird in den öffentlichen Meinungsaustausch, erlebt Burckhardt qua 24-jähriger Student. Um die Stadt «autogerecht zu zeugen», wie es heisst, wollen Basels Regierung und Parlament 1949 mit einer Entlastungsstrasse mitten durch die historischer Stadtteil eine Trasse verhauen, dieser extra 120 mittelalterliche Häuser zum Todesopfer stürzen würden.
Nicht mehr da Parteien sind zu diesem Zweck, selbst dieser Heimatschutz legt keinen Einspruch ein. Entsetzt ergreift Burckhardt mit ein paar Kommilitonen innert fünf Tagen dies Referendum, verliert zwar die Kür, ungeachtet schafft doch eine breite Sensibilisierung pro dies Erhaltenswerte im urbanen Umfeld. Im Verbund mit weiteren glücklichen Umständen kann dieser radikale Kahlschlag schliesslich verhindert werden.
Er liebt die Gegensätze
Lucius Burckhardt (1925–2003) ist ein Spross des liberalen Grossbürgertums seiner Heimatstadt und trotzdem Mitbegründer dieser ersten grünen politische Kraft in Basel. Er ist ein universitärer Forscher mit europaweiter Charisma und taktgesteuert umtriebiger urbanistischer Aktivist, begnadeter Ironiker, «landschaftstheoretischer» Aquarellist und bissiger Cartoonist. Er ist unglaublich kundig, theoriebegeistert und in allen Sparten dieser Kunst qualifiziert. Dieser Kosmos dieses eigenwilligen Denkers und Praktikers ist weitestgehend schon einschüchternd breit und tief.
Den hartnäckigen Hinterfrager und Dialektiker zeichnet die stupende Fähigkeit aus, Gegensätze zu lieben, sich an ihnen lustvoll, mit Verstand und Witz zu schubben und sie pro sich und andere produktiv zu zeugen. Wohlbefinden nicht zuletzt insofern gehört er in die Schlange dieser originellsten und kreativsten Intellektuellen, die die Schweiz in den letzten hundert Jahren hervorgebracht hat.
Sein Gesamtwerk ist in hohem Neutralleiter anschlussfähig an die drängendsten Herausforderungen dieser Gegenwartsform. Ob Energiefragen, Wohnungsnot oder Zersiedelung, ob Autobahnbau, Umnutzungen, Partizipation dieser Nation an dieser Planung oder ressourcenbewusster Umgang beim Zusammensetzen: Lucius Burckhardt gehört immer zu den Ersten, die dies Problem nicht nur benennen, sondern selbst Wahlmöglichkeit Wege vorschlagen.
Den Architektursoziologen Burckhardt interessieren unterdies die Entscheidungsprozesse – und die vielmals damit verbundene Myopie. Die Verquickungen mit Spekulation und blinder Wachstumseuphorie sind ihm ein belebendes Schererei. Er betont hingegen die Prozesshaftigkeit des Bauens, dies Ent-stehen-Lassen in kleinen, die gesellschaftliche Gesamtsituation mitreflektierenden Schritten. «Dieser kleinstmögliche Ineinandergreifen» – so ein Buchtitel – war ihm tunlichst qua generalstabsmässige chirurgische Grosslösungen, die vom Schreibtisch aus ohne Renommee dieser Umstände verordnet werden. Damit schafft man sich in dieser Baubranche schon nicht nur Freunde.
Sozusagen ein ewiger Student
Geboren am 12. März 1925 in Davos, wo sein Vater eine Lungenklinik leitet, besucht er in dieser Vorkriegszeit dies deutsche Oberschule des kosmopolitischen Kurorts – zusammen mit den Kindern von Nazi-Grössen und geflüchteten Juden. Schon hier fällt seine unermessliche Wissbegier hinaus. Er lernt spielend mehrere Fremdsprachen, und seine Sammlung von Schneckenhäusern betreibt er aus leidenschaftlicher Naturliebe mit wissenschaftlicher Akribie.
Wie Student in Basel belegt Lucius Burckhardt zuerst Medizin, wechselt ungeachtet nachher einem Jahr zu Nationalökonomie, Soziologe, Philosophie, Seelenkunde und Kunstgeschichte. Während seines zwölfjährigen Studiums besucht er Kurse wohnhaft bei extra zwanzig Professoren aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen. Selbige Transdisziplinarität wird dann selbst seinen Berufsalltag qua Hochschullehrer stempeln. Vernetztes Denken wurde ihm zur zweiten Natur. Er war ein moderner Renaissancemensch – ungeachtet, wie Zeitzeugen herausstellen, sehr nahbar und ohne jegliche Allüre.
Schweizweit pro Furore sorgt dieser grade promovierte Wissenschafter 1955 mit dem Streitschrift «achtung: die Schweiz», dies er verbinden mit dem Architekten Max Jung und dem Historiker Markus Kutter verfasst. Die Streitschrift, eine Faktura mit dieser kleingeistig planlosen Schweiz, schlägt ein wie ein Meteorit. In kurzer Zeit erscheinen extra tausend Ware dazu, mehrheitlich ablehnende. Im Kontrast dazu dieser Pflock ist gesetzt. Max Jung übernimmt einzelne Passagen daraus weitestgehend Wort für Wort in seinen taktgesteuert entstehenden Erfolgsroman «Stiller».
Es verfolgen Lehraufträge an verschiedenen deutschen Universitäten, pro zehn Jahre wird er Chefredaktor dieser Architekturzeitschrift «Werk» und stösst darin zahlreiche Debatten an. Schliesslich folgt dieser Ruf an die ETH, wo er qua einer dieser ersten Soziologen gar an einer Architekturabteilung lehrt. Ab da werfen ihm seine Gegner, die schnell und kompromisslos konstruieren wollen, immer wieder vor: «Dieser hat ja noch nie ein Haus gebaut!»
Spaziergänge qua Wissenschaft
1973 übernimmt Burckhardt die Professur pro Sozioökonomie urbaner Systeme an dieser Reformuniversität Kassel und findet hier in den professoralen Grossraumbüros mit den immer offenen Türen pro mehr qua ein Vierteljahrhundert dies ideale Umfeld pro seine transdisziplinären Überzeugungen. «Wer plant die Planung?», «Warum ist Landschaft schön?», «Gestaltung ist unsichtbar» lauten drei seiner emblematisch gewordenen Buchtitel. Hier in Kassel entwickelt er selbst, verbinden mit seiner die noch kein Kind geboren hat Annemarie, welches hinaus den ersten Blick wie ein Jux wirken könnte: dies Schubfach «Spaziergangswissenschaften».
Während vielen Jahren lehrte Lucius Burckhardt an dieser Universität in Kassel.
Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie ernsthaft und doch ganz spielerisch-aufmüpfig dieses methodische Verfahren dieser Burckhardts funktioniert. Im Markröhre ist es experimentelle Wahrnehmungsforschung in Echtzeit, erprobt im In Betracht kommen, am eigenen Leib und mit den eigenen Sinnen. So Vorlesung halten sie 1987 im Seminar «Reise nachher Tahiti» mit ihren Studierenden zuerst die Berichte von Georg Forster extra Tahiti, verfasst wohnhaft bei seiner Weltumseglung mit James Cook (1772–1775).
Visionäre realistisch
In den letzten Jahren ist hinaus dem Buchmarkt ein Revival zu Lucius Burckhardt zu erleben. Im Verlagshaus Martin Schmitz in Spreeathen ist eine Werkausgabe erschienen. Ausserdem ist ihm die jüngste Doppelnummer von «Werk, Zusammensetzen + Wohnen» gewidmet: «Die Burckhardts», Nr. 1/2, 2025. Im Rotpunkt-Verlagshaus ist dieser Schmöker «Raum und Potenz. Die Stadt zwischen Vision und Wirklichkeit. Leben und Wirken von Lucius und Annemarie Burckhardt» veröffentlicht worden. Er enthält eine DVD mit zahlreichen Interviews. Schliesslich ist dieser Schmöker «Sammlung von Gedichten etc. Landschaft» wohnhaft bei Lars Müller und Case-Studio Vogt, Zürich, erschienen. Lucius Burckhardts 991-seitiges Mammutwerk ist eine eindrückliche Dokumentation seines tiefschürfenden Schaffens, mit Texten aus 2500 Jahren Kulturgeschichte.
Anschliessend spaziert man zu einem ehemaligen Truppenübungsgelände wohnhaft bei Kassel, dies qua Naturschutzgebiet inzwischen eine wild-schöne Vegetation entwickelt hat, die frappierend gut zu den Beschreibungen Forsters aus dem Inselparadies passt. Schauspieler tragen unterdies an zehn Stationen Passagen aus Forsters Reisebericht vor. Daraus ergibt sich die Denkweise: Wir sehen, welches wir sehen wollen und zu sehen gelernt nach sich ziehen.
Irgendwas ungemütlicher muss sich wohl dieser legendäre «Fussmarsch mit Windschutzscheibe» von 1992 durch eine trottoirlose und verkehrsreiche Ausfallstrasse von Kassel angefühlt nach sich ziehen, wohnhaft bei dieser sämtliche eine Windschutzscheibe vor sich hertragen. Einerseits wird den Teilnehmenden so die eingeschränkte Sichtweise mit ihrem Autofahrerblick selbst materiell intellektuell. Andrerseits erleben sie dies bedrängende Gefühl dieser übrigen Autos hautnah, ohne schützende Knautschzone um sich herum. Im Nachklang zu solchen Aktionen schreibt Burckhardt: «Mit unseren Spaziergängen schalten wir die Beklemmung vor dem Ungewohnten aus. Und ausserdem macht es Spass.»
Ganz viel Spass muss den Leuten die Intervention «Dasjenige Zebra streifen» von 1993 gemacht nach sich ziehen, wenn man sich die Bilder von in vergangener Zeit anschaut. Mit einer grossen Traube von gegen 600 Fussgängern im Schlepptau ziehen die Planungskritiker durch die Stadt Kassel, unterm Schmucklos verdongeln 30 Meter langen mobilen Zebrastreifen, den sie überall dort auswalzen, wo sie verbinden und langsam eine Strasse queren wollen. Dasjenige kann man selbst qua verdongeln Fick von lustvoller Selbstermächtigung des schwächsten Teils im städtischen Strassenverkehr Vorlesung halten.
Die Interventionen von Lucius Burckhardt nach sich ziehen oft verdongeln spielerisch performativen Naturell. Die Verknüpfung mit dem künstlerischen Schaffen, etwa von Joseph Beuys, Daniel Spoerri, Bernard Lassus oder Paul-Armand Gette, hat er immer wieder gesucht – und sie wird ihm mit den Jahren immer wichtiger. Es klingt weitestgehend wie ein Vermächtnis, wenn dieser neugierige Wahrnehmungsforscher schreibt: «Bestimmte Perspektiven kann man wohl nur durch Kunst vermitteln, da die Beschränkung des Blickes heute so weit verbreitet ist, dass die Personen kaum mehr die Weite nach sich ziehen, sie aufzuheben. Dasjenige kann nur die Kunst vermitteln, ohne mit erhobenem Zeigefinger oder verletzend zu sein.»
So scheint dieser Theoretiker mit dieser durchlässigen Grenze zur Kunst zur Vollendung gekommen zu sein: qua spielerischer Künstler. Ganz nachher Schiller: «Dieser Mensch (. . .) ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»
Schau «Sehend denken: 100 Jahre Lucius + Annemarie Burckhardt», Universitätsbibliothek Basel, solange bis 13. August.